Der Gründerszene haftete schon immer etwas magisches an. Magisch erscheinen heutzutage vor allem die investierten Summen, die sich nicht selten im ein- bis zweistelligen, manchmal sogar dreistelligen Millionenbereich bewegen, als auch die Begrifflichkeiten, die in diesem Zusammenhang immer häufiger genannt werden. In Deutschland relativ neue Erscheinungen sind in diesem Zusammenhang die nicht minder magisch wirkenden Amerikanismen wie Blockchain, Smart Contracts oder auch das sogenannte Initial Coin Offering1, kurz ICO.
Je glänzender die Augen junger, technikaffiner und geradezu euphorisierter Jungunternehmer dabei werden, wenn alles zusammen kommt, nämlich Geld, Technik und Magie, entstehen umso größere Sorgenfalten bei europäischen und nationalen Aufsichts- und Regulierungsbehörden, zumal der Eine oder Andere die dot.com-Blase zu Beginn dieses Jahrhunderts bereits längst vergessen und/oder wirtschaftlich verdaut haben dürfte. Die Gründerszene scheint sich in diesem Zusammenhang nicht immer ganz bewusst zu sein, dass sie sich bei dem Einsatz dieser neuen Technologien in Wiklichkeit häufig in der bedrohlichen Nähe zu einem relativ stark regulierten und beaufsichtigten Umfeld bewegt, was der Idee des Crowdfunding als alternativem Finanzierungsinstrument für Start-Ups, also dem Einsammeln von Wagniskapital unter Umgehung streng regulierter Prozesse, im Grunde diametral gegenüber steht.
Inital Coin Offering (ICO)
Bei dem Initial Coin Offering (ICO) oder auch Initial Public Coin Offering (IPCO) handelt es sich unter enger Anlehung an den Börsengang = Initial Public Offering (IPO) um eine recht junge Methode des Crowdfunding, bei der mithilfe der über die Distributed Ledger oder Blockchain Technologie (DLT) elektronisch generierten und verwalteten sogenannten „Token” Kapial für die Verwirklichung einer Geschäftsideee aufgenommen werden soll. Bei einem ICO gibt eine Einzelperson oder ein Unternehmen selbst generierte „Token” heraus und verkauft sie anschließend im Austausch gegen herkömmliche oder noch häufiger gegen virtuelle Währungen wie beispielsweise Bitcoin, Ether , Ripple oder Stellar. Die Besonderheit beim Initial Coin Offering besteht u.a. darin, dass die Merkmale und der Zweck dieser „Token” von seinem Herausgeber vertraglich mit seinen Abnehmern im Wesentlichen frei bestimmt werden können und sich dadurch in Abhängigkeit von der jeweiligen Geschäftsidee deutlich unterscheiden. Gerade hierin liegt der besondere Reiz als auch die generelle Eignung des Initial Coin Offering für eine unbestimmte Vielzahl unterschiedlicher Geschäftsmodelle.
Einige „Token” ermöglichen die Benutzung oder den Kauf von zukünftigen Waren oder Dienstleistungen, die der Herausgeber mit dem Erlös aus dem ICO entwickelt. Mit anderen „Token” werden Stimm- oder Genussrechte an dem herausgebenden Unternehmen oder Anteile an seinen künftigen Einnahmen erworben. Einige „Token” haben keinerlei Mehrwert für den Erwerber und wieder andere werden gehandelt und/oder lassen sich nach ihrer Herausgabe an spezialisierten Kryptowährungs-Handelsplattformen gegen herkömmliche oder virtuelle Währungen eintauschen.
Stellungnahme der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA)
Unter dem Eindruck des rasanten Zuwachses von ICOs im Jahre 2017 hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) die an ICOs beteiligten Unternehmen mit einer Mitteilung vom 13. 11. 2017 gewarnt, dass bei der Herausgabe selbst generierter „Token” die ggfls. einschlägigen regulatorischen Anforderungen zwingend eingehalten werden müssen. Das ESMA hat in seiner Mitteilung die Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass häufig die an ICOs beteiligten Unternehmen ihre damit verbundenen Aktivitäten ausgeübt hätten, ohne dass das einschlägige anwendbare EU-Recht eingehalten worden sei. Selbst wenn nach der jeweiligen Ausgestaltung von Inhalt und Zweck der herausgegebenen „Token” die in Rede stehende Geschäftsidee unter Einsatz eines ICO im Einzelfall aus dem Anwendungsbereich der bestehenden Regeln und damit auch aus dem regulierten Bereich herausfallen könne, so sei es jedenfalls dann, wenn „Token” als Finanzierungsinstrument anzusehen sind, höchstwahrscheinlich, dass die an ICOs beteiligten Unternehmen eine regulierte Anlagetätigkeiten betreiben. Darüber hinaus könnten ICOs ggfls. auch als öffentliche Angebote auf Übernahme übertragbarer Wertpapiere angesehen werden. Als anwendbare Vorschriften kämen dann je nach Ausgestaltung äußerst scharfe Schwerter, nämlich die Prospektrichtline, die Finanzmarktrichtline, die Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds oder auch die Vierte Geldwäsche-Richtlinie in Betracht.
Stellungnahme der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Hinweisschreiben vom 20. 2. 2018
Im Grunde noch deutlicher formuliert es die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in ihrem Hinweisschreiben vom 20.2.2018, zu dem sie sich nach der offensichtlich eingetretenen Verunsicherung und den deshalb vermehrten Anfragen auf Einschätzung der Unbedenklichkeit von Geschäftsmodellen und den damit beabsichtigten „Token” veranlasst gesehen hatte.
Die BaFin weist in ihrem Hinweisschreiben darauf hin, dass dann, wenn einschlägige regulatorische Anforderungen nicht eingehalten werden, dies die Untersagung entsprechender Vorhaben bzw. Geschäfte durch die BaFin zur Folge haben könne. Darüber hinaus stellten Verstöße unter Umständen auch Ordnungswidrigkeiten dar, die durch die Verhängung von Bußgeldern geahndet werden können. Sofern sogar Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten vorlägen, erfolge eine Abgabe des Sachverhalts an die zuständige Staatsanwaltschaft zum Zwecke der Strafverfolgung. Die BaFin empfiehlt deshalb in ihrem Hinweisschreiben den betroffenen Marktteilnehmern, sich im Hinblick auf „Token” im Vorfeld von geplanten Vorhaben bzw. Geschäften mit ausreichender Vorlaufzeit mit den zuständigen Fachreferaten der BaFin abzustimmen. Die Pflicht zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben besteht insbesondere vor dem Hintergrund etwaiger Erlaubnispflichten nach dem Kreditwesengesetz (KWG), dem Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) oder dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz (ZAG). Die Prüfung richtet sich nach den gesetzlichen Voraussetzungen der Rechtsnormen im Bereich der Wertpapieraufsicht, d. h. insbesondere des WpHG, WpPG, der Marktmissbrauchsverordnung (MAR), des VermAnlG sowie weiterer einschlägiger nationaler Gesetze und EU-Vorschriften im Bereich der Wertpapieraufsicht.
In Fällen des geplanten Einsatzes von „Token” prüft die BaFin im Rahmen einer sorgfältigen Einzelfallprüfung, ob es sich bei den herauszugebenden „Token” nach Sinn und Zweck um ein Finanzinstrument im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) bzw. der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II), um ein Wertpapier im Sinne des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) oder um eine Vermögensanlage nach dem Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) handelt. Je nach Ausgestaltung steht der Handel mit „Token” als Bankgeschäft, namentlich als Finanzkommissionsgeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG) oder Emissionsgeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 KWG), als Finanzdienstleistung, namentlich als Anlagevermittlung, Anlageberatung, Betrieb eines multilateralen oder organisierten Handelssystems, Platzierungsgeschäft, Abschlussvermittlung, Finanzportfolioverwaltung, Eigenhandel oder Anlageverwaltung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 bis 4, 11 KWG), nach § 32 Abs. 1 KWG sogar unter Erlaubnisvorbehalt.
Fazit
Unter dem Gesichtspunkt, dass sich das technische Setup eines Blockchain und damit die Entwicklung eigener „Token” heute mit relativ einfachen Mitteln über Open-Source-Tools als auch in recht überschaubarer Zeit bewerkstelligen lässt, sollten Gründer vor der Ingangsetzung rechtlich sorgfältig prüfen lassen, ob sich ihre Geschäftsidee unter Einsatz des Initial Coin Offering im Ergebnis als Finanzinstrument oder Bankgeschäft erweist. Sollte die Wahrscheinlichkeit hierfür hoch sein und dieser Umstand von der BaFin nach einer Einzelfallprüfung auch noch bestätigt werden, dürfte die Verwirklichung der angedachten Geschäftsidee unter Einsatz von „Token” ohne gravierende Anpassung des Geschäftsmodells bereits im Keim erstickt sein, weil sich die Umsetzung im beaufsichtigten und regulierten Umfeld regelmäßig als große Hürde erweist. Genau dies wollte man aber durch den Einsatz von Mitteln des Crowdfunding gerade vermeiden.
Wegen der in Amerika vergleichbaren Problematik im Zusammenhang mit der strengen Aufsicht und Regulierung von Initial Coin Offerings (ICO) durch die United States Securities and Exchange Commission (SEC) sucht man dort bereits nach Modifikationen und/oder Alternativen zum Initial Coin Offering (ICO), die mit kaum weniger magischen Begriffen wie Security Offering Token (STO), Interactive Initial Coin Offering (IICO), Initial Supply Auction, Simple Agreement for Future Tokens (SAFT), Airdrop usw. einhergehen. Das Licht am Tunnel ist also noch nicht sichtbar, sondern der Tunnel wird offensichtlich länger.